Was war die Aufregung groß: „Facebook Zero” schien zu Jahresbeginn als das Damoklesschwert über der Social-Media-Branche zu hängen: Ohne Werbegelder gibt’s keine Reichweite mehr für Seitenbetreiber – das war die Botschaft aus dem Hause Zuckerberg.

Ihren Trost fanden viele Advertiser bei LinkedIn. Auf dem weltgrößten Business-Netzwerk lockten organische Reichweiten, die oft beim Zehnfachen von Facebook lagen. „Impressions” nennt LinkedIn die Sichtkontakte mit seinem Content – und gute Posts unserer Kunden erreichten sogar ähnlich viele Impressions, wie die Seiten Follower hatten. Bei Facebook hingegen sind, je nach Fan-Zahl, 5 bis 10% organische Reichweite schon bemerkenswert. Bei LinkedIn lohnte es also, neue Follower anzulocken und in Community-Wachstum zu investieren.

Heute, fünf Monate später, erscheint es so, als würde das Business-Netzwerk seinen seit Jahren anhaltenden Anpassungskurs an Facebook auch in puncto Monetarisierung einschlagen. Wir bei In A Nutshell beobachten es bei einigen Kunden: Bei LinkedIn sinken die organischen Reichweiten seit Anfang 2018 massiv. „Ihr produziert halt den falschen Content”, könnte man uns leicht vorwerfen. Nur: Wir überprüfen in AB-Tests und im laufenden Monitoring sehr genau, was funktioniert und was nicht. Und bei LinkedIn stellt es sich leider so dar, dass seit Anfang 2018 scheinbar fast alles nicht mehr wirklich gut funktioniert.

Organische Reichweiten brechen um bis zu zwei Drittel ein

Ein paar Zahlen als Beleg. Bei einem Kunden, Follower-Zahl über 25.000, kamen wir im Dezember 2017 noch bei jedem Post auf mindestens 15.000 Impressions. Viele Posts lagen sogar bei organischen Reichweiten von 20.000 und mehr. Im Mai 2018 war nur ein einziger Post fünfstellig, viele rangierten bei 6.000 bis 8.000 Impressionen. Im Schnitt ist das ein Reichweiten-Rückgang von gut 50 Prozent. Ein anderer Kunde, Follower-Zahl rund 2.500, hatte im Dezember 2017 eine aggregierte organische Reichweite von 50.000. Im Mai waren es – bei ähnlicher Zahl an Posts – 18.000. Das ist ein Rückgang von fast zwei Dritteln.

Diese drei Screenshots von Kunden unserer Agentur zeigen die Tendenzen – anonymisiert natürlich. Die orangefarbenen Kurven kann man ignorieren, das sind Ad-Reichweiten. Die organischen Reichweiten sind blau:

Überall die gleiche Entwicklung: Den Weg, den Facebook bei der Drosselung organischer Reichweite geht, scheint LinkedIn spätestens seit Februar auch einzuschlagen. In allen drei Fällen lag es definitiv nicht daran, dass wir Content-Strategie oder Posting-Frequenz groß geändert hätten. Im Gegenteil: In allen Fällen haben wir sogar zuletzt verstärkt auf LinkedIn gesetzt, weil wir von der organischen Reichweite überzeugt waren.

Der größte Verlierer ist am Ende LinkedIn selbst

Interessanterweise steigen die Follower-Zahlen weiterhin relativ konstant – nur stellt sich die Frage, wem das in Zukunft noch etwas bringt, wenn man die eigene Community nicht mehr erreicht.
Meine Einschätzung: LinkedIn agiert hier arg kurzsichtig. Die Plattform hat sich in den vergangenen zwei Jahren durch die verbesserten Möglichkeiten der Content-Distribution zur relevanten Alternative zu Facebook & Co entwickelt. Und im Thought Leadership-Bereich ist sie, auch dank Formaten wie Pulse und dem Influencer-Programm, weltweit die Nummer Eins.

Wenn LinkedIn nun seine eigene Zero-Strategie fährt, wird es doppelt verlieren:

1. Bei Facebook sind die Advertising-Möglichkeiten viel granularer und die Datenbasis ist deutlich überzeugender. Zudem bekomme ich für das gleiche Geld oft die fünf- bis zehnfache Reichweite dessen, was ich bei LinkedIn einkaufe.

2. Im Thought Leadership-Bereich ist LinkedIn nicht mehr konkurrenzlos. Eine Plattform wie medium.com, die zum Beispiel unser Kunde innogy Innovation Hub sehr erfolgreich nutzt, ist bei der inhaltlichen Qualität und Diskurs-Tiefe schon an LinkedIn vorbeigezogen. Consulting-Thinktanks wie McKinsey sind hier bereits umtriebiger als auf vielen „klassischen“ Social Media-Kanälen. Andere werden folgen, wenn sie sehen, dass Storytelling auf LinkedIn mehr und mehr unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

So weit ist es noch lange nicht, doch die Entwicklung von LinkedIn zeigt in eine ungute Richtung: Der größte Verlierer von „LinkedIn Zero” wäre am Ende LinkedIn selbst.